Seit letztem Herbst stattet das Institut für Geophysik und Geoinformatik Schulen mit Mini-Erdbebenmessgeräten aus. Bereits 20 Schulen in Sachsen nehmen auf Initiative der TUBAF teil. Sie sind jetzt Teil eines Seismologie-Netzwerks, das weltweit Daten von Erdbeben aufzeichnet. Zuletzt hat das Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium in Dresden ein Mini-Seismometer erhalten.
TUBAF-Seismometer im Nexö-Gymnasium Dresden
Rund 35 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte blicken auf eine kleine transparente Kiste, die TUBAF-Mitarbeiter Olaf Hellwig aufs Pult gestellt hat: ein Seismometer, von der Grundfläche nicht mal so groß wie eine Postkarte. Damit wollen die Jugendlichen in Zukunft die Bewegung der Erde aufzeichnen, denn die kleine Kiste ist nicht weniger als eine Erdbebenmessstation, die fortan im Keller oder an anderer geeigneter Stelle in der Schule stehen wird. Diese Raspberry-Shake-Station ist eine Art Volksseismometer, das speziell für wissenschaftlich interessierte Laien entworfen wurde.
"Die Raspberry-Shake-Seismometer bieten einen ansprechenden, interaktiven Einstieg in das Themenfeld der Seismologie. Über Erdbeben hört man aus den Medien, und besonders im Westen Sachsens sind sie kein unbekanntes Naturphänomen", erklärt Olaf Hellwig, Geophysiker an der TUBAF und Leiter des Seismologischen Observatoriums Berggießhübel. Es ist also kein Zufall, dass die Gruppe an diesem Vormittag ein aktuelles lokales Erdbeben untersucht. Gegen 6.29 Uhr an diesem Morgen des 25. April haben die Seismometer ausgeschlagen. Hellwig rechnet mit den Schülerinnen und Schülern aus, wo das Epizentrum des Bebens war: in der Nähe von Klingenthal im Vogtland.
Raus aus dem fachlichen Schubladendenken
Geografielehrer Matthias Jakob freut sich, dass die Jugendlichen das gelernte Wissen nun auch praktisch anwenden können: "Die Schülerinnen und Schüler verstehen jetzt, woher die Formeln kommen. Das sind jetzt keine rein numerischen Modelle, die Phänomene können vielmehr in der Natur beobachtet werden." Jakobs Kollegin Sarah Stange ist ebenfalls begeistert. Sie hält die Geografie für eine Schlüsselwissenschaft, die viele Schnittmengen zu anderen Disziplinen hat: "Wir wollen raus aus dem fachlichen Schubladendenken und an der Schule interdisziplinär arbeiten. Außerdem möchten wir die Jugendlichen an wissenschaftliches Arbeiten heranführen."
Wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält
Tatsächlich geht es Dr. Olaf Hellwig und Professor Stefan Buske am Institut für Geophysik und Geoinformatik beim Aufbau der Erdbebenmessstationen darum, junge Menschen für naturwissenschaftliche Themen zu begeistern und speziell Interesse an Geophysik und Seismologie zu wecken. Hellwig spricht von den deutschlandlandweit rückläufigen Studierendenzahlen in den MINT-Fächern: "Gleichzeitig werden wir die großen Herausforderungen unserer Zeit - Klima- und Umweltschutz, Erhaltung unseres Wohlstands, Sicherstellung der Rohstoff- und Energieversorgung und nicht zuletzt die Friedenssicherung ohne ein umfassendes naturwissenschaftliches Verständnis und technische Innovationen kaum meistern können. Auch die Geophysik kann wertvolle Beiträge zur Lösung dieser Probleme liefern."
Es ist das Wissen darum, was die Welt im Innersten zusammenhält, oder vielmehr, was sie immer wieder in Bewegung setzt: Hellwig beschreibt die Bewegung der tektonischen Platten, P-Wellen, S-Wellen und wie sich die natürlichen Bewegungen der Erde von Erschütterungen durch Atomwaffentests oder Sprengungen in Bergwerken unterscheiden lassen. Die Jugendlichen in den Bankreihen bringen schon ziemlich viel naturwissenschaftliches Wissen mit und haben Formeln parat. Man merkt, dies ist eine Schule, die eine mathematisch-naturwissenschaftlich vertiefte Ausbildung bietet. Zwei Jugendliche wollen dann noch mehr wissen. Als Olaf Hellwig mit seinem Vortrag fertig ist, bleiben sie noch. Die 17-jährige Abiturientin Elvira Terne nimmt das Seismometer in die Hand und schaut sich das Innenleben bestehend aus Messsensor und Platinen genauer an. Sie und ihr Mitschüler verabreden sich mit Olaf Hellwig zu einem Besuch im seismologischen Observatorium in Berggießhübel, um noch viel mehr zur Seismologie zu erfahren und vor allem um das institutseigene High-End Seismometer im Observatorium aus nächster Nähe zu sehen.
Lange Warteliste interessierter Schulen
Nachdem Professor Buske im September 2023 alle Gymnasien in Sachsen angeschrieben hatte, kamen in kürzester Zeit mehr als 30 Interessensbekundungen, solche Raspberry-Shake-Seismometer an der eigenen Schule zu installieren. Auch nach Medienberichten erhalten die Forscher immer wieder Anfragen. Inzwischen sind 20 Stationen in Schulen installiert, im Mai werden weitere Geräte am Gymnasium Schwarzenberg, am Freiberg-Kolleg und an der Geschwister-Scholl-Oberschule Schönheide aufgebaut. "Wir haben inzwischen eine lange Warteliste", erklärt Olaf Hellwig. Um die bis Ende des Jahres abzuarbeiten, wartet er nun erst einmal auf eine neue Lieferung mit Raspberry-Shake-Seismometern.
Hintergrund
Das Seismometer Raspberry-Shake startete als Crowdfunding-Projekt und ist seit 2016 auf dem Markt. Sein Entwickler ist der Panamaer Angel Rodriguez. Die interaktive Nutzeroberfläche auf http://stationview.raspberryshake.org bietet nicht nur Zugriff auf die Erdbebenregistrierungen an sächsischen Schulen, sondern auf über 2000 Raspberry-Shake-Seismometerstationen weltweit.