„Wir laden Kooperationspartner zu gemeinsamen Forschungen ein“: Im Interview mit Gabriele Fleischer spricht Serguei Molodtsov, wissenschaftlicher Direktor von European XFEL, über einen Arbeitsplatz der Superlative.
1961 in Leningrad geboren studierte Serguei Molodtsov dort von 1978 bis 1984 an der Staatlichen Universität Physik. Nach dem Diplom arbeitete er drei Jahre an seiner Dissertation und forschte mit einem Alexander von Humboldt-Stipendium mehrere Jahre an der Freien Universität in Berlin. Dann folgte er einem Ruf an die TU Dresden in den Fachbereich Physik, war Leiter des Russisch-Deutschen Labors am Berliner Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung und ist seit 2010 Direktor der European XFEL GmbH, zuständig zunächst für den Aufbau und seit 2017 für den Betrieb des Freie-Elektronen-Röntgenlasers (European XFEL) auf dem DESY-Forschungsgelände in Hamburg. Molodtsov ist auch Professor am Institut für Experimentelle Physik an der TU Bergakademie Freiberg.
Herr Professor Molodtsov, wie können Sie Ihre Aufgaben, vor allem administrativen in Hamburg sowie die Lehr- und Forschungstätigkeit, miteinander verbinden?
Ich bin von der TU Bergakademie für meine Aufgaben in Hamburg beurlaubt, was mir aufgrund der immer auf fünf Jahre befristeten Anstellung bei European XFEL (EuXFEL) sehr hilft. Allerdings fahre ich zu Verteidigungen von wissenschaftlichen Arbeiten oder auch zu Besprechungen nach Freiberg. Zudem betreue ich zwei Doktoranden aus Freiberg, die in Hamburg an Anlagen arbeiten. Einmal im Jahr kommen Freiberger Studenten zu einer Blockvorlesung nach Hamburg, erhalten so Einblick in die modernsten Anlagen der Welt. Ein Plus für die Studierenden.
Sie haben also einen Arbeitsplatz der Superlative?
Das könnte man so sagen. Ich darf als wissenschaftlicher Direktor die Geschicke des weltgrößten Freie-Elektronen-Lasers im Röntgenbereich begleiten. Er erzeugt ultrakurze Laserlichtblitze, 27.000 mal pro Sekunde, und ermöglicht so sehr präzise Materialanalysen. Es ist derzeit die modernste Anlage, die es weltweit gibt. Diese mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterzuentwickeln und auszubauen, ist mein Ziel. Denn momentan sind nicht nur die Forschenden in Stanford in den USA dabei, die nächste Generation von Röntgenlasern aufzubauen, sondern auch in China arbeitet die Forschung daran. Hier heißt es also, nicht den Anschluss zu verlieren.
Was heißt das für Sie konkret?
Wir planen, bis 2030 in Richtung extrem hoher Photonenenergien von derzeit etwa 20 bis zu 100 Kilo Elektronenvolt vorzudringen. Und das ist nur mit dem leistungsstärksten Beschleuniger der Welt möglich, der Elektronen auf bis zu 17,5 Gigaelektronenvolt beschleunigen kann. Darüber hinaus legen wir unseren Schwerpunkt auf die Nutzung ultrakurzer Photonenimpulse im Attosekundenbereich, dem Milliardstel einer Milliardstel Sekunde. Ein Strom aus diesen Elektronen, also Energiepaketen, erzeugt Licht, das wir für unseren Laser benötigen.
Warum ist das Vordringen in solche noch unvorstellbar schnellere Teilchenbeschleuniger nötig?
Bei sehr hohen Photonenenergien ist man viel „bulk“-empfindlicher, das heißt, man ist in der Lage, in höherdimensionale Räume eindringen. Mit mehr Leistung dieser Photonenenergie können wir nicht nur wie derzeit die Oberfläche von Material untersuchen, sondern mehr in das Innere eindringen. Reale Proben wie die von Flugzeugturbinen können so auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Beschädigungen unter schweren Bedingungen untersucht werden. Attosekunden sind auch für die Entwicklung neuartiger ultraschneller Computer, sogenannter Quantencomputer, die in der entsprechenden Zeitskala arbeiten sollen, unbedingt notwendig. Unsere Grundlagenforschung hat für verbesserte Materialeigenschaften immense Bedeutung. Wir arbeiten mit Strahlen, die für einzigartige Röntgenblitze sorgen und damit neue Möglichkeiten für viele Bereiche der Forschung eröffnen. Nur so lassen sich Zusammensetzungen und Strukturen von Biomolekülen und Werkstoffen auf atomarer Ebene untersuchen.
Damit setzen Sie das fort, was Albert Einstein mit seiner Theorie des Lichts einst begründet hat?
Ja, in vielen Fällen basieren unsere Photoemissionsexperimente auf Vorhersagen von Einstein, der für seine Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts, nicht zuletzt Grundprinzip von Solarzellen, 1921 den Nobelpreis erhielt. Dieser Photoeffekt wurde von Einstein beschrieben. Allerdings ist der Mechanismus, der dahintersteckt, noch nicht verstanden. Hier können wir einen entscheidenden Beitrag leisten.
Ein Quantensprung, der auch mit größerer Gefahr durch immer intensivere Strahlen verbunden ist?
Nein. Die Sicherheitsvorkehrungen sind so hoch, dass keinerlei Gefahr von der Strahlung, die wir nutzen, ausgeht. Die Anlage des Freie-Elektronen-Lasers befindet sich auf einer Länge von 3,4 Kilometern zwischen sechs und 38 Metern unter der Geländeoberfläche. In Tunneln, die durch Betonwände und mindestens sechs Meter Erdreich geschützt sind, bringt ein Linearbeschleuniger die Elektronen auf hohe Energien und lenkt sie durch spezielle Magnetanordnungen. Dabei senden die Teilchen Licht aus, das sich so verstärkt und Röntgenstrahlung erzeugt. Die aber bewegt sich nicht nach oben oder unten, sondern nur parallel zur Erdoberfläche. Der Tunnel kann nur dann zu Wartungsarbeiten betreten werden, wenn die Strahlung vollständig abgeschaltet ist.
Für anliegende Wohngebiete besteht also keine Gefahr?
Nein. Natürlich hat es während des Baus Proteste gegeben. Sicher auch aus Unwissenheit. Es brauchte viel Überzeugungsarbeit und Bedenken blieben, aber Messungen haben keinerlei abweichende Werte ergeben. Es wird trotzdem ständig kontrolliert. Alle unsere Mitarbeiter tragen noch Messgeräte, die im Notfall anschlagen würden und auch im Fall von Bränden in den Tunneln den Standort lokalisieren könnten.
Wer finanziert die Forschungen bei European XFEL?
Die beteiligten zwölf Länder, neben Deutschland Russland, Dänemark, Frankreich, Italien, Polen, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Ungarn und Großbritannien. 2023 sind 145,7 Millionen Euro in die Anlage geflossen. Entsprechend ihrer aktuellen Gesellschafter-Anteile zahlen die beteiligten Länder spezifische Beträge.
Wie wird das, wofür Sie sich in Hamburg engagieren, mit den Forschungen an der TU Bergakademie Freiberg vernetzt?
Da gibt es viele Anknüpfungspunkte, zumal wir in Hamburg interdisziplinär arbeiten. Mit mittlerweile sieben Instrumenten für unterschiedlichste Fragestellungen bieten wir für viele Arbeitsgruppen an der TU Bergakademie Freiberg eine Erweiterung ihres experimentellen Portfolios und Kooperationen an. Speziell in den Bereichen der elektronischen Strukturuntersuchung und Strukturforschung auf subatomarer Ebene sowie der Untersuchung ultraschneller Prozesse in allen Arten von Materialien, Flüssigkeiten und Materialien in festem Zustand, würden die unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Gebiete, darunter auch die im Ressourcenprofil der TU Bergakademie Freiberg verankerten Linien wie Geowissenschaft, Material/Werkstoffe, Energie und Umwelt massiv von diesen Angeboten profitieren.
Was ist Ihr Wunsch?
Wir laden alle Professorinnen und Professoren sowie Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter aus Freiberg zum Besuch des European XFEL sowie zu gemeinsamen Forschungen und damit zum direkten Austausch mit uns ein. Die Zusammenarbeit könnte noch intensivier werden. Beispiel ist ein Projekt mit Dr. Friedrich Roth vom Institut für Experimentelle Physik, oder einer Doktorandin und Professorin Yvonne Joseph vom Institut für Elektronik und Sensormaterialien. Sie nutzen Messzeiten in Hamburg für ein Projekt, das in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum und dem Fritz-Haber-Institut Berlin läuft. Ziel sind Aufbau und Inbetriebnahme eines neuen Photoelektronenspektrometers an der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II in Berlin. Untersucht werden soll der Ladungstransfer an Grenzflächen von Materialien. Mein Wunsch ist es aber auch, bereits Schüler für experimentelle Physik zu interessieren. Spannende und leicht verständliche Experimente helfen dabei und sorgen vielleicht für den Nachwuchs von morgen, den wir dringend brauchen.