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Die Spannung steigt. Bei FLASH beginnt gleich die nächste Mess-Woche. Noch zeigt das Signal in der Halle des 315 Meter langen Teilchenbeschleunigers nicht auf Grün. FLASH steht für Freie-Elektronen-Laser in Hamburg, der weltweit erste Röntgenlaser dieser Art. 

Mit Freiberger Forschenden unterwegs an Teilchen-Beschleunigern in einem der größten Forschungszentren Deutschlands. Eine Reportage von Gabriele Fleischer.

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Experimentalphysiker Friedrich Roth von der TU Bergakademie an der SXP-Experimentierstation bei European XFEL. SXP steht für "Soft X-ray Port". An dieser Beamline, einem Strahlrohr, in dem das durch beschleunigte Teilchen erzeugte Strahlung zum Experimentaufbau führt, können Wissenschaftler vorübergehend ihre eigenen Stationen einrichten und betreiben.

Ende der 1990er Jahre begannen die Tests mit der neuen Gattung von Forschungsanlagen – basierend auf einem supraleitenden Linearbeschleuniger und der Herstellung von Röntgenlicht mit schnellen Elektronen. Seit 2005 werden dort Experimente mit Lichtblitzen im sogenannten weichen Röntgenbereich, also mit niedrigerer Energie und längerer Wellenlänge als im harten Röntgenbereich, durchgeführt.

5.000 Blitze pro Sekunde ermöglichen unzählige Bilder von Reaktionsstadien verschiedener Materialien in Echt-Zeit. Zum Vergleich: Eine gute Digitalkamera macht in Serie an die zwölf, maximal vielleicht 20 Bilder pro Sekunde. Zu langsam für die Physikerinnen und Physiker, die so genau wie möglich Reaktionen auf bestimmte Veränderungen erfassen wollen. 

Die Experimentierkammer, eine von vier in der Halle, ist bereits fest mit einem dichten Schutzvorhang verschlossen. „Lasersicherheit“, erklärt Dr. Friedrich Roth. Denn hier treffen gleich intensive Röntgenstrahlen, die durch stark beschleunigte Elektronen erzeugt werden, synchron mit einem optischen Laser auf millimetergroße Materialproben. Diese sind in einer Vakuumkammer verankert, also geschützt vor äußeren Einflüssen, die die Messungen verfälschen könnten. 

Der Freiberger Experimentalphysiker Roth ist einer von etwa 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich eine Woche lang drei Schichten für die Mess-Zeit teilen - ein internationales Team, unter anderem aus Italien, Deutschland und der Ukraine. Von dort kommt Dmytro Kutnyakhov. Er ist für das Spektrometer verantwortlich, mit dem das Experiment durchgeführt wird.  In der Mess-Gruppe sind auch die Freiberger Doktorandinnen Ekaterina Tikhodeeva und Marieke Stapf sowie Dmitrii Potorochin, der seine Promotion bereits erfolgreich an der Freiberger Universität verteidigt hat. 

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Doktorandin Marieke Stapf von der TU Bergakademie Freiberg schaut, ob der Versuchsaufbau zur Messung der Materialproben bei FLASH komplett ist. Bevor die einwöchige Messzeit beginnt, wird der Aufbau strahlensicher verschlossen.

Marieke Stapf zeigt begeistert die unterschiedlichen Geräte, erklärt wie der Laserstrahl in die Vakuumkammer gelangt und auf die Materialproben trifft. Schon in der Schule begeisterte sich Mareike Stapf für Naturwissenschaften, hat an der TU Bergakademie Freiberg Nanotechnologie studiert und ist inzwischen bei der Experimentalphysik angekommen. Dort arbeitet sie mit Unterstützung von Friedrich Roth an ihrer Dissertation. „Die Messungen hier an weltweit einmaligen Teilchenbeschleunigern sind eine Bereicherung für meine wissenschaftliche Arbeit“, sagt die 25-Jährige, die sich gleich für die erste Nachtschicht angemeldet hat. 

Friedrich Roth ist froh, dass er mit Marieke Stapf eine junge Wissenschaftlerin in seiner Arbeitsgruppe hat, die aufgrund ihres Studiums besser als alle anderen in der Lage ist, die Materialproben für die Messungen mit dem Freie-Elektronen-Laser passgenau herzustellen.

Inzwischen hat die Mess-Zeit begonnen. Die erste Schicht blickt konzentriert auf die Bildschirme. Hier und da Ausschläge an einem Diagramm. Immer wieder leichte Veränderungen, um viele Materialeigenschaften untersuchen zu können. Alle beobachten gebannt das Geschehen wie in einem atemberaubenden Thriller. Hier aber geht es um mehr, auch darum, wie der Alltag künftig gestaltet wird. 

„Wir messen die Ladungstransferdynamiken nach optischer Anregung in einem kombinierten System aus einem 2D-Material und einem organischen Molekül. Dabei interessieren wir uns für den Landungstransfer und dafür, wie sich die Moleküle durch die zusätzliche Ladung verändern, drehen oder verbiegen“, sagt Roth fachgerecht. 

Ein für Laien komplizierter Vorgang, dessen Notwendigkeit erst bei einer weiteren Erklärung deutlich wird: Denn letztlich benötigt das Team die Erkenntnisse aus der Mess-Zeit, um perspektivisch neue Materialkombinationen für optoelektronische Anwendungen wie Leuchtdioden, Solarzellen oder Lichtsensoren nutzen zu können. 

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Dmitrii Potovochin (l.), der seine Dissertation erfolgreich an der TU Bergakademie verteidigt hat, Doktorandin Ekaterina Tikhodeeva und Friedrich Roth aus Freiberg an der SXP-Experimentierstation.

Ständig auf der Suche nach Lösungen

Roth, der noch während seiner Diplomarbeit Messungen an Großforschungsanlagen wie FLASH vor allem nachts nur anstrengend fand und sie künftig meiden wollte, hat Jahre später für seine Doktorarbeit im Labor Daten erfasst und ist längst froh, diese einmaligen Anlagen mit ultraschnellen Röntgenblitzen fast ausschließlich für seine Forschungen nutzen zu können. Was gebe es Besseres für einen Physiker als ständig auf der Suche nach Lösungen zu sein, von der Idee, den Austausch mit Kollegen über die Vorbereitung und Mess-Zeit bis zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse. 

Wo trifft der Laser auf, welche Wellenlänge ist entscheidend? „Wir müssen den Prozess verstehen, Lösungen finden und Ergebnisse für die Fachwelt publizieren. Diese wiederum sind Grundlage für andere Wissenschaftsgebiete und die Wirtschaft wie die Halbleiter- und Automobilindustrie “, sagt Roth.

Die internationale Gruppe, die hier auf dem 60 Hektar großen Forschungsgelände des 1959 gegründeten Zentrums für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) ihre Zeit an der Experimentierstation intensiv nutzt, bewegt sich im Spannungsfeld von Forschungsgebieten, für die bereits drei Nobelpreise vergeben wurden. So nutzen sie die Röntgen-Photoelektronenspektroskopie. Für die Bemühungen, diese zu einem nützlichen Analyseinstrument zu entwickeln, hatte Kai Siegbahn 1981 den Preis in Physik bekommen. Diese Methode wiederum basiert auf dem Photoelektrischen Effekt, für dessen theoretische Erklärung Albert Einstein 1921 ausgezeichnet wurde. Und Roths Arbeitsgruppe „Strukturforschung mit XFELs und Synchrotronstrahlung“ untersucht als Materialsystem auch sogenannte Quantenpunkte, also Objekte, in denen Elektronen eingeschlossen und in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind.  Für Forschungen auf diesem Gebiet erhielten Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Jekimov 2023 den Chemie-Nobelpreis.

Der Jubelschrei über mögliche neue physikalische Erkenntnisse bei der Mess-Gruppe um Friedrich Roth muss allerdings noch warten. Denn exakte Ergebnisse werden nach aufwendiger Auswertung erst in einigen Monaten vorliegen – und für einen Nobelpreis wohl noch nicht reichen. Aber wer weiß, engagiert sind sie alle, die hier rund um die Uhr messen, vergleichen, diskutieren.

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Wissenschaftlerin Dr. Karen Appel und Serguei Molodtsov an der HED-Experimentierstation. Die kombiniert harte Röntgen-FEL-Strahlung und die Fähigkeit, Materie unter extremen Bedingungen – hervorgerufen durch Druck, Temperatur oder elektrische Felder.

Fast wie in der NASA-Zentrale

Während die Gruppe die Stunden, die ihr zur Verfügung stehen, nutzen, herrscht im Gebäude nebenan ebenfalls höchste Konzentration. An vielleicht 40 Bildschirmen haben Fachleute hier sämtliche Parameter der verschiedenen Beschleuniger im Blick. Siarhei Dziarhytski erklärt, dass die Anlagen eine breite Palette von Experimentierplätzen für spezielle Fachgebiete haben, die alle von eigenen Fachleuten betreut werden. Er ist für das Strahlrohr zuständig, all dem, was zwischen dem Freie Elektronen Laser und dem Spektrometer passiert. Durch das Rohr wird die Röntgenstrahlung zu den Experimenten transportiert. 

„Sieht doch wie in der NASA-Zentrale, der US-Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft, aus“, sagt Roth. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig. Nur die Begeisterung nach einem gelungenen Experiment ähnlich dem nach einer geglückten Landung fehlt dort gerade. Dafür herrscht höchste Konzentration. Im Blick haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Kontrollraum auch die einige Kilometer entfernte Forschungsstation des weltweit größten Freie-Elektronen-Lasers European XFEL für Röntgenlicht, der 2017 in Betrieb gegangen ist. Einer der wissenschaftlichen Direktoren dieser eigenständigen Forschungseinrichtung ist Serguei Molodtsov. Der Physiker, der in Leningrad geboren wurde, ist zugleich Professor am Institut für Experimentelle Physik der TU Bergakademie Freiberg und Leiter der dort angesiedelten Arbeitsgruppe „Strukturforschung mit XFELs und Synchrotronstrahlung“. 

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Luftaufnahme des European XFEL-Campus mit der Stadt Hamburg im Hintergrund. Die Linien kennzeichnen das Tunnelsystem, das auf dem DESY-Campus startet und bis zur unterirdischen Experimentierhalle unter dem Hauptgebäude in Schenefeld reicht. Die roten Linien zeigen die Elektronen-Beamlines, die orange-farbenen Linien die Röntgenstrahl-Beamlines. Die gestrichelten Linien kennzeichnen die Undulatoren.

Elektronen werden auf hohe Energien gebracht

Der weltgrößte Freie-Elektronen-Laser erzeugt unvorstellbare 27.000 Röntgenblitze pro Sekunde. Sie sind um ein Vielfaches intensiver als bei herkömmlichen Röntgenanlagen. Fest verschlossen in einem 3,4 Kilometer langen Tunnelsystem werden tief unter der Erde zwischen Hamburg und dem schleswig-holsteinischen Schenenfeld zunächst Elektronen auf hohe Energien gebracht und durch spezielle Magnetanordnungen, sogenannte Undulatoren, gelenkt. 

Sehen kann man das Röntgenlicht nicht. Schematische Darstellungen zeigen jedoch anschaulich, dass die Teilchen Licht aussenden, welches sich so lange verstärkt, bis ein extrem kurzer und intensiver Röntgenblitz entsteht. Ein Gang im Tunnelsystem während des Betriebes wäre angesichts der Strahlung aber zu gefährlich. 

Mit dem Laser lässt sich nicht nur wie im Fall der Freiberger Arbeitsgruppe an Materialien forschen, es können ebenso atomare Details von Viren oder Zellen entschlüsselt, dreidimensionale Aufnahmen im Nanokosmos gemacht, chemische Reaktionen gefilmt oder Vorgänge ähnlich denen im Innern von Planeten untersucht werden. 

Mehr als 500 Menschen arbeiten bei European XFEL. Dazu kommen 250 bei DESY, die den Beschleuniger betreiben, sowie unzählige Forscherinnen und Forscher, die sich beim European XFEL in Schenefeld, aber auch an den Anlagen des Großforschungszentrums DESY in Hamburg für Experimentierzeit bewerben können. Ein Expertengremium wählt die besten Vorschläge aus. Und auch wenn sämtliche Anlagen rund um die Uhr in Betrieb sind, so gibt es laut DESY- Sprecher Thomas Zoufal beispielsweise bei PETRA III, wo ebenfalls Freiberger forschen, dreieinhalb bis viermal so viele Anfragen als Experimentierzeit zur Verfügung steht.

Privilegierte Mess-Zeiten dank TU Bergakademie Freiberg

Ein Sachsen-DESY-Kooperationszentrum will sächsischen Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen jetzt privilegierten Zugang zu Messzeiten ermöglichen. Geplant sind 1.000 Stunden jährlich, verteilt auf verschiedene Beamlines, also Strahlrohre, und Forschungsanlagen von DESY. 

„Ziel ist eine dauerhafte Kooperation zwischen den sächsischen Hochschulen und dem DESY, um die Grundlagen für die Materialforschung in Sachsen zu stärken“, sagt Jens Grigoleit, Referent im Prorektorat Forschung der TU Bergakademie Freiberg. Um den Bedarf zu prüfen, wurde eine Pilotphase vereinbart, die noch läuft. „2022 wurde von DESY unentgeltlich ein Messzeitkontingent für sächsische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereitgestellt. 2023 und 2024 finanziert die TU Bergakademie Freiberg das zusätzliche Messzeitkontingent aus Sondermitteln im Umfang von etwa 600 Stunden pro Jahr“, so Grigoleit. „Das Angebot wird sehr gut angenommen, und die beantragten Messzeiten liegen bei einem Vielfachen der verfügbaren Kapazität.“ Zur Finanzierung ab 2025 laufen laut Grigoleit gegenwärtig Gespräche. Dann betrage der voraussichtliche Bedarf für das interdisziplinäre Kooperationszentrum, zu dem sich neben der TU Bergakademie Freiberg und DESY die Universitäten in Chemnitz und Dresden sowie die HTW in Dresden zusammengeschlossen haben, 625.000 Euro jährlich. 

12 Partnerländer für European XFEL

Das Forschungszentrum DESY, finanziert zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie zu zehn Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg, ist als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft auch größter Gesellschafter der internationalen Forschungseinrichtung European XFEL. Das Budget von European XFEL kommt von den zwölf Partnerländern. Für 2023 lag es laut Sprecher Bernd Ebeling bei 145,7 Millionen Euro. 

Inzwischen ist die einwöchige Mess-Zeit für Friedrich Roth und sein Team vorbei. Sein Fazit: „Der Freie-Elektronen-Laser sowie der optische Laser für das Anregen der Proben haben beide dank der Kolleginnen und Kollegen von DESY sehr gut funktioniert.  Wir konnten viele interessante Effekte beobachten.“ Effekte? Roth erklärt, dass sobald die Probe mit dem Laser bestrahlt wird, sich das Photoemissionsspektrum verändert. Für den Physiker ist das ein klarer Hinweis auf einen Ladungstransfer, wobei das 2D-Material eine Phasenumwandlung durchläuft, wenn man es auf etwa minus 170 Grad Celsius abkühlt. In diesem Fall fiel die Veränderung des Spektrums anders aus als bei Messungen bei Raumtemperatur, erklärt Roth einen der beobachteten Effekte. Was jetzt folgt, ist eine detaillierte Analyse, an deren Ende eine Publikation steht. Für Friedrich Roth wird es die 66. sein. 

Jetzt beginnt die Auswertung der Mess-Zeit

Auch die Freiberger Doktorandin Marieke Stapf ist mit der Woche intensiver Mess-Zeit zufrieden: „Die vorläufigen Ergebnisse sehen spannend und vielversprechend aus. Zum Beispiel haben wir unerwartete Veränderungen der Spektren in Abhängigkeit von der Laserintensität beobachtet und näher untersucht.“ Ein angenehmer Nebeneffekt der einwöchigen Zusammenarbeit mit Forschenden anderer Einrichtungen sind Kooperationen, die sich anbahnen. Und während in Freiberg die Auswertung der Mess-Zeit beginnt, bereitet sich das Team dort auf die nächsten Experimente in Hamburg und bei einer weiteren intensiv genutzten Röntgenstrahlungsquelle in Berkeley in den USA vor. Allein drei Einsätze sind 2024 in Hamburg geplant. Dann sollen auch erste Experimente an einem neuen Spektrometer, das bei European XFEL in Betrieb geht, genutzt werden.

Angst, dass die wissenschaftliche Arbeit irgendwann an Grenzen kommt, hat Friedrich Roth also nicht. Denn bis zukünftige Materialien effizienter, kostengünstiger und damit ressourcenschonender hergestellt werden können, hat die Grundlagenforschung im Bereich der Experimentalphysik viel zu tun.

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Prof. Dr. Serguei Molodtsov, wissenschaftlicher Direktor der European XFEL GmbH, an der Experimentierstation für High Energy Density (HED) , die 2019 in Betrieb gegangene sechste Station der Versuchseinrichtung des European XFEL.
"Wir laden die Universität zu gemeinsamen Forschungen ein“
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