Die chemische Industrie erlebt aktuell gravierende Einschnitte, denn sie ist auf einen günstigen Zugang zu Rohstoffen und Energie angewiesen. Wie Kreislaufwirtschaft dazu beitragen kann, die Einschnitte zu bewältigen, zeigte Prof. Martin Bertau beim 14th European Congress of Chemical Engineering and 7th European Congress of Applied Biotechnology. Der Plenarvortrag „Winds of change – why we have to leave trodden paths in raw material processing” wurde als CIT Lecture der wissenschaftlichen Zeitschrift „Chemie Ingenieur Technik“ mit dem CIT Award ausgezeichnet.
Dem Vortrag des Institutsdirektors für Technische Chemie zufolge, „stellt das Konzept der Wertstoffchemie eine völlige Abkehr vom Herkömmlichen dar.“ Der Begriff beschreibt die Gesamtheit der herkunftsunabhängigen Verfahren und Methoden zur Herstellung von chemischen Rohstoffen. Die Grenzen zwischen Primärrohstoffen (Bergbau) und Sekundärrohstoffen (Recycling) werden vollständig aufgehoben, was für die Etablierung einer echten Kreislaufwirtschaft elementar ist, so die Argumentation.
„Wenn man sich auf das Produkt konzentriert, unabhängig von der Herkunft der Rohstoffe, werden sowohl Bergbauprodukte als auch Recyclingmaterialien entlang einer einzigen Prozesskette verarbeitet. Mit anderen Worten: Selbst Material, das bereits einen oder mehrere Produktkreisläufe durchlaufen hat, wird zwangsläufig zu Primärproduktqualität regeneriert, da es nur eine einzige Technologiekette gibt“, erklärt Prof. Martin Bertau. „Wir haben also echtes Recycling, wo wir jetzt nur Downcycling betreiben. Lediglich die Einstiegspunkte können sich unterscheiden.“
Bei konsequenter Umsetzung kann die chemische Technik die planetaren Grenzen weitestgehend einhalten: Klimaneutralität, Zero-Waste-Produktion, geringer CO2-Fußabdruck und Verzicht auf fossile Rohstoffe, Wassereinsparung, Nutzung erneuerbarer Energien sowie hohe Energie- und Ressourceneffizienz. „Wir müssen industrielle chemische Prozesse zukunftsfähig machen“, so Bertau. Die gute Nachricht: „Die Anforderungen der kommenden Jahrzehnte können wir schon heute erfüllen. Das Wissen liegt in den Schubladen der Universitäten“, sagt er und fordert die Politik auf, diesen Schatz zu heben.