Künstliche Intelligenz begegnet uns inzwischen immer wieder im Alltag. Und Programmieren mit Python ist längst Thema in Informatikseminaren. Aber es dürfte immer noch sehr rar sein, dass das KI-assistierte Programmieren an einer Uni über ein ganzes Semester zum Hauptthema erhoben wird – so die Einschätzung von Professor Bernhard Eidel, der aktuell das Seminar „Coding with AI“ (im Rahmen von „Research Seminar & Journal Club“) an der TUBAF anbietet. Und er ergänzt: „Das Ganze auch noch in fast 30 individuellen Projekten voll durchzuziehen, dürfte sehr, sehr rar sein.“ Wie das aussieht, zeigt ein Besuch bei Master-Studierenden des Fachs „Computational Materials Science“ (CMS).
Ein Dienstagnachmittag im Hörsaal des Julius-Weisbach-Baus. 26 Studierende sitzen hinter ihren Laptops und arbeiten an ihren Projekten. Seminarleiter Professor Bernhard Eidel geht durch die Reihen und sieht sich bei jedem und jeder Einzelnen die Fortschritte an, diskutiert und gibt Tipps. Auf Muhammad Saad Qureshis Laptopbildschirm sind gelbe Wellen zu sehen, die erst zarte, dann immer größere Kreise auf dem dunkelblauen Hintergrund ziehen. Die Animationen zeigen die Wellenausbreitung in elastischen Körpern. „Die Grafiken habe ich mit Chat GPT4 erstellt“, erklärt Qureshi. „Die Darstellung hat auch einen ästhetischen Reiz“, sagt Eidel, „aber vor allem findet Herrn Qureshis Arbeit ein breites Anwendungsfeld, zum Beispiel bei der Simulation von Erdbeben.“
"Misstraut dem Code!"
In diesem Seminar erzeugen die Studierenden Computercodes. Diese wurden bislang manuell geschrieben, das macht jetzt der Chatbot GPT4. Doch Professor Eidel hat seine Studierenden am Anfang des Semesters gewarnt: „Misstraut dem Code!“ Entscheidend sei, die Leistung des Chatbots nicht unhinterfragt zu übernehmen, die Studierenden müssen den Code einer durchgreifenden Testphase unterziehen und nicht selten in Details ergänzen oder korrigieren. Eine häufige Fehlerquelle sei, dass der Mensch der Maschine eine Aufgabe gegeben hat, die nicht präzise genug oder unvollständig formuliert ist. Ashkan Zaheri hat das sehr ernst genommen. Der Student behandelt in seinem Projekt die Modellierung und Simulation der Schwingungen von Rechteckplatten. Er hat die Ergebnisse seines Projekts mit einer schon vorhandenen Studie abgeglichen. Er hat weniger als 1% Differenz zwischen der Rechnung der Künstlichen und der der Menschlichen Intelligenz gefunden. Zaheri erzählt auch, dass er dem Chatbot gleich am Anfang die Aufgabe gegeben hat, eine Persönlichkeit anzunehmen, die so genannte Persona: Der Chatbot soll sich als Programmier- und Ingenieursexperte verstehen und besonders auf das dafür notwendige Wissen zugreifen, wodurch er andere Datenmengen, die möglicherweise zu Fehlern führen, ausblendet. „Und mittlerweile ist es gar erwiesen, dass es sich lohnt, zu dieser Persona freundlich zu sein, um bessere Ergebnisse zu bekommen“, ergänzt Professor Eidel lachend.
Schummeln mit KI?
Das Verhältnis von AI und HI, Artificial Intelligence und Human Intelligence, wie diese beiden konkurrierenden, bestenfalls aber kooperierenden Denkleistungen auf Englisch heißen, ist ein spannungsreiches Feld. Längst haben so genannte „KI-Koryphäen“ Auslöschungsszenarien entworfen, wie beispielsweise der Spiegel jüngst berichtete. Professor Eidel sieht neben den Gewinnen durch KI auch Gefahren: „Einige der Gefahren sind offensichtlich, dass etwa unsere menschliche Denkleistung degenerieren wird, je mehr wir der KI überlassen.“ KI ist aus seiner Sicht zunächst ein Hilfsmittel, das seine Studierenden wie im Seminar für Programmieraufgaben nutzen sollen, auch um beispielsweise einen Bug aufzuspüren oder einen Code durchzutesten und dessen Qualität zu verbessern. Auch sieht sich Eidel nicht hilflos gegenüber Versuchen, KI zum Schummeln bei Prüfungen zu nutzen. „Ja, bei manchen Fächern und insbesondere Hausarbeiten ist das sicher ein Thema. Unsere Prüfungen laufen entweder unter Laborbedingungen ab, ohne Hilfsmittel oder als Prüfungsgespräch; das ist dann in jedem Fall die Stunde der Wahrheit.“
Breit aufgestellt für das Berufsleben
Aktuell seien Seminare wie dieses an deutschen Unis eher noch selten, vermutet Professor Eidel. Die hier erlernten Fähigkeiten werden im Berufsleben rapide und umfassend an Bedeutung gewinnen, ob nun beim Bau von Flugzeugen oder Prothesen. Seine Studierenden der "Computational Materials Science" sind am Ende des Studiums breit aufgestellt. Programmieren ist eine Schlüsselqualifikation, aber das Fach ist eben keine reine Informatik. Die Studis bewegen sich an Schnittstellen u.a. zur Materialwissenschaft, Physik und Mechanik. Und das wahrscheinlich mit der nötigen Portion Kritikfähigkeit, was die Möglichkeiten und Grenzen von Chatbots angeht.