Das Institut für Physikalische Chemie (lang)
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Das Institut für Physikalische Chemie
Obwohl schon frühzeitig physikalisch-chemische Aspekte sowohl in der Lehre als auch in der Forschung insbesondere der hüttenmännischen Fachrichtungen eine Rolle gespielt haben, wurde das Institut für Physikalische Chemie erst 1952 an der Bergakademie Freiberg gegründet. Erster Direktor und Lehrstuhlinhaber für Physikalische Chemie war bis 1970 Walter Mannchen. Vor 1952 wurde das Fachgebiet lediglich durch einige Lehrveranstaltungen in anderen Instituten vertreten. So war das Praktikum Physikalische Chemie im Institut für Anorganische Chemie angesiedelt. Eine 2-stündige Vorlesung über Thermodynamik wurde von Physiker Prof. Dr. Richter und eine ebenso umfangreiche Vorlesung über Elektrochemie von dem Anorganiker Prof. Dr. Geyer gehalten.
Walter Mannchen war vor seiner Berufung Abteilungsleiter im Magnesitwerk Aken gewesen. Sein wissenschaftlicher Arbeitsstil wurde aber wesentlich während der Doktorandenzeit an der Göttinger Universität geprägt. Sein Lehrer war dort der weltweit bekannte Physikochemiker Arnold Eucken.
Mit der Gründung des Institutes musste die Lehre relativ flexibel aufgebaut werden, da die Ansprüche der einzelnen Fachrichtungen sehr heterogen waren. Zu Beginn des Jahres 1960 lag ein Angebot von acht inhaltlich verschiedenen Vorlesungen und einem Praktikum mit einem Fond von ca. 40 Versuchen vor. Diese Leistung war außerordentlich beachtlich, da neben dem Lehrstuhlinhaber nur neun Doktoranden und vier technische Mitarbeiter sowie vier in der Werkstatt zur Verfügung standen.
Einer profilbestimmenden Arbeitsrichtung entsprechend, physikalisch-chemische Messungen bei tiefen Temperaturen, wurde 1957 eine Anlage zur Herstellung von flüssiger Luft und kurz darauf eine Anlage zur Herstellung von flüssigen Wasserstoff installiert. In der damaligen Zeit stellte das eine Pionierleistung dar, die an verschiedenen Stellen höchste Anerkennung fand. 1964 konnten mit einem Neubau die Anlagen wesentlich erweitert werden, so dass auch andere Institutionen der Universität und des Territoriums versorgt werden konnten. Bis heute ist davon die zentrale Versorgung des Freiberger Territoriums mit flüssigem Stickstoff erhalten geblieben.
Walter Mannchen hat drei wesentliche Arbeitsrichtungen gepflegt:
- Erstarrungsvorgänge in Metallen, insbesondere Keimbildung, die experimentell durch die Bestimmung der Statistik der Unterkühlung von Schmelzen in Abhängigkeit von der Gasatmosphäre, der Überhitzung, der Anwesenheit von Spurenelementen u.a. untersucht wurde.
- Wasserstoffbestimmung in Metallen, Bestimmung von Diffusionskoeffizienten und Aktivierungsenergien des Austritts von Wasserstoff aus Metallen ins Vakuum.
- Kalorimetrische Messung der Wärmekapazität von Metallen und Legierungen im Temperaturbereich von 10 bis 300 K und die theoretische Interpretation des Temperaturverlaufes der Wärmekapazitäten.
Alle drei Arbeitsrichtungen waren gekennzeichnet durch aufwändige, aber sehr solide Apparaturen und Messtechniken, die zum größten Teil mit Hilfe der Werkstätten in Eigenbau erstellt wurden. In den gegenwärtigen Arbeitsrichtungen des Institutes sind teilweise noch die Wurzeln aus der "Jugendzeit" des Institutes erkennbar.
An der "3. Hochschulreform" 1968 hatte W. Mannchen zunächst erheblichen Anteil. Er wurde zum ersten Direktor der zur Sektion Chemie vereinigten Institute eingesetzt. Sein Engagement und sein Reformwille wurden aber bald von willkürlichen politischen Maßnahmen und Überbetonungen überdeckt, so dass er resignierend aufgab und nur noch Lehr- und Forschungsaufgaben des Institutes wahrnahm.
Die Sektionsbildung hatte die formale Auflösung des Institutes zur Folge. Der größte Teil der personellen und technischen Kapazität ging in die Arbeitsgruppe "Thermodynamik" (AG 2), der kleinere Teil in die Arbeitsgruppe "Kinetik" (AG 3) ein. 1974 erfolgte dann wieder die Zusammenführung innerhalb des Wissenschaftsbereiches Analytische und Physikalische Chemie. Arbeitsgruppenleiter der AG 2 wurde 1970 der herausragende Mannchenschüler Dr. Gert Wolf, der schon vor dieser Zeit einen Großteil der Geschehnisse in der Gruppe lenkte. Unter seiner Federführung wurde die Lehre und insbesondere das Praktikum umfassend erneuert und ausgebaut.
Die Besetzung des Lehrstuhles nach der Emeritierung Mannchens im Jahre 1970 konnte erst mit der Berufung von Paul Brand 1973 erfolgreich abschlossen werden. Diese zeitliche Lücke wurde durch eine 1 ½ -jährige Gastprofessur von Professor Bogdan Baranowski geschlossen. Baranowski, von der Polnischen Akademie der Wissenschaften aus Warschau, hat wesentlich die Arbeitsrichtung Wasserstoff in Metallen und die Supraleitung von Hydridsystemen gefördert und in der Lehre das Gebiet "Irreversible Thermodynamik" in Freiberg eingeführt und vertreten.
Paul Brand etablierte im Institut eine neue Arbeitsrichtung, die auf die Synthese und die Charakterisierung von basischen Aluminiumchloriden ausgerichtet war. Dieses Arbeitsgebiet stand in enger Verbindung mit der Entwicklung und dem Aufbau einer Pilotanlage in Lauta zur Gewinnung von Tonerde aus einheimischen Ton. Insbesondere aus den Qualifizierungsarbeiten resultierten neue Erkenntnisse zu den Bildungsbedingungen, der Stabilität und den strukturellen Eigenschaften basischer Salze. Dazu gesellten sich wichtige Aussagen zu Sol-Gelübergängen und den damit verbundenen Eigenschaften.
Obwohl Gert Wolf eine gelegentlich angekündigte Berufung verwehrt blieb, konnte er seine wissenschaftliche Selbständigkeit mit einer kleinen Gruppe stets aufrecht erhalten. In den 70er Jahren erregten Ergebnisse zu supraleitenden Materialien (Hydride, Chalkogenide und Oxide) ein viel beachtetes internationales Echo. Eine Folge war u.a. sein dreijähriger, sehr erfolgreicher Arbeitsaufenthalt am Moskauer Akademieinstitut für Physikalische Probleme (Direktor Nobelpreisträger Kapitza) und die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Labor für Hohe Magnetfelder und Tiefe Temperaturen in Wroclaw. Um 1980 mussten diese erfolgreichen Arbeiten im wesentlichen beendet werden. Gleichermaßen betraf das zukunftsträchtige Arbeiten zur Wasserstoffspeicherung, die aus den ursprünglichen Forschungsrichtungen des Institutes hervorgegangen waren. G. Wolf widmete sich danach überwiegend der methodischen Entwicklung auf dem Gebiete der Kalorimetrie und lieferte experimentelle Arbeiten zur Physikalischen Chemie konzentrierter Elektrolytlösungen.
1978 wurde neben der Professur eine Dozentur für Physikalische Chemie eingerichtet. Nach einer Gastrolle von Frank Kuschel aus Halle wurde 1982 die Dozentur an Wolfgang Voigt übertragen. 1989 erfolgte seine Berufung auf die Professur Physikalische Chemie. Arbeitsrichtungen der Dozentur und Professur waren wässrige konzentrierte Elektrolytlösungen und international beachtete Aktivitäts- und Löslichkeitsmessungen sowie Kristallisationsuntersuchungen. Eine enge Kooperation zur Salzchemieforschung im Institut für Anorganische Chemie war zu verzeichnen.
Die zweite Professur Physikalische Chemie wurde mit Hans-Jörg Mögel aus Halle besetzt. Sein Arbeitsgebiet ist die Grenzflächen- und Kolloidchemie mit ausgesprochenen Tendenzen zur Theoretischen Chemie.
Das historisch bedeutsame Jahr 1990 war wie in allen anderen Bereichen mit nachhaltigen Veränderungen verbunden. Dr. Gert Wolf wurde auf die Eckprofessur Physikalische Chemie berufen. In dieser Eigenschaft und als Direktor des wieder offiziell bestehenden Institutes für Physikalische Chemie hat er wesentliche und bestimmende Anteile an der demokratischen Erneuerung der Universität und des Fachbereiches Chemie aufzuweisen. Zunächst als Prodekan, ab Oktober 1991 als Dekan der Fakultät für Chemie und damit Mitglied des Senates sowie als Mitglied der Personal- und Fachkommission hatte er schwerwiegende und zukunftsweisende Entscheidungen zu fällen und zu tragen.
Als gewählter Direktor gelang ihm, in erstaunlich kurzer Zeit eine tragfähige Profilierung des Institutes für Physikalische Chemie zu entwickeln, die sich in den folgenden Jahren in einem bemerkenswerten Zuwachs an wissenschaftlichem Personal auf Grundlage von Drittmittelverträgen, von gerätetechnischer Ausstattung, von Publikations- und Vortragstätigkeit widerspiegelte. 1993 wurde er nochmals für eine Amtszeit von 3 Jahren zum Dekan der neu eingerichteten Fakultät für Chemie und Physik gewählt.
Im Rahmen der Hochschulerneuerung erfolgte die Ausschreibung von zwei weiteren Professuren der Physikalischen Chemie. In einem nur 4-wöchigen Verfahren wurden Hans-Jörg Mögel auf die Professur Physikalische Chemie II und Klaus Bohmhammel auf die Professur Angewandte Physikalische Chemie berufen. Bohmhammel ist wie Gert Wolf ein Mannchenschüler. Sein jetziges Arbeitsgebiet ist mit thermodynamischen und kinetischen Untersuchungen von Gas-Festkörperreaktionen grob umrissen, stofflich steht das Silicium im Mittelpunkt.
Zu den tragenden Säulen des Institutes zählt auch das äußerst leistungsfähige wissenschaftliche Stammpersonal, bestehend aus Dr. Regina Hüttl, PD Dr. Johannes Lerchner, PD Dr. Peter Schiller und Dr. Jürgen Seidel. Für Funktionsfähigkeit des Institutes unbedingt notwendig sind weiterhin die Kolleginnen und Kollegen Dipl.-Ing.(FH) Margit Seifert, Dipl.-Ing.(FH) Matthias Jobst, die Laborantinnen Jutta Lange, Regina Härtel und Dagmar Süßner sowie die Sekretärin Christine Böhme. Dazu kommen noch Diplomanden und Doktoranden.
Nachfolger von Prof. Gert Wolf ist seit Oktober 2005 Prof. Florian Mertens. Er hat in Frankfurt/Main Physik studiert und bei Ertl am Fritz-Haber-Institut in Berlin promoviert. Nach einer Industrietätigkeit bei der Adam-Opel AG bzw. General Motors fungierte er zuletzt als Forschungsleiter eines Projektes zur chemischen Wasserstoffspeicherung.
Lehrtätigkeit
Auf Basis der Diplom- und Studienordnung des Studienganges Chemie und des 1996 etablierten Studienganges Angewandte Naturwissenschaft waren umfangreiche Lehraufgaben auch für die nebengeordneten Studiengänge zu erfüllen. Im Grundstudium sind das die klassischen Lehrveranstaltungen der Physikalischen Chemie. Im Hauptstudium dagegen wurde ein eigenes Profil generiert, das beispielhaft durch solche Veranstaltungen (Vorlesungen, Übungen und Praktika) wie Thermodynamische Stoffdaten, Physikalisch chemische Messmethoden, Grenzflächen- und Kolloidchemie, Fraktale in der Chemie, Irreversible Thermodynamik, Statistische Thermodynamik, Physikalisch-chemische Sensoren, Signale und Informationen, Biophysikalische Chemie u.a. gekennzeichnet sind. Die Praktika wurden inhaltlich erweitert und die technische Ausrüstung weitestgehend modernisiert.
Die Qualifizierungsarbeiten (Diplom und Promotion) werden durch zahlreiche Drittmittelprojekte ( DFG, 2 Sonderforschungsbereiche, AiF, SAB, Industrie) getragen. Die wesentliche Erhöhung der personellen Kapazität auf dieser Basis hat auch eine positive Rückwirkung auf die Erfüllung der Lehraufgaben. Mehrere erfolgreiche Anträge im Rahmen des HBFG führten zu einer erheblichen Erweiterung der Geräteausstattung. Hervorzuheben sind u.a. moderne kalorimetrische Messeinrichtungen, die unterschiedlichsten Anforderungen, wie z.B. der Biotechnologie, der Siliciumchemie, der Wasserstoffspeicherung, der Materialsynthese und der Materialcharakterisierung entsprechen.
Die langjährige Tradition und der moderne Zuschnitt auf dem Gebiet der thermophysikalischen Messmethoden, die damit verbundene umfangreiche Publikationstätigkeit und das Engagement von Gert Wolf waren die Grundlage, dass die Tradition der zweijährlichen Ulmer Kalorimetrietage ab dem Jahre 1995 als Ulm-Freiberger Kalorimetrietage mit erweiterter Resonanz fortgesetzt werden konnte. Sechs erfolgreich durchgeführte Symposium erzeugen genügend Motivation, um im März 2007 ein nächstes zu organisieren.
Forschungsvorhaben
Das Forschungsprofil des Institutes kann folgendermaßen gekennzeichnet werden:
- Untersuchung von heterogenen und heterogen katalysierten Reaktionen mit experimentellen und theoretischen Methoden.
- Entwicklung und Nutzung von thermophysikalischen Messmethoden zur thermodynamischen und kinetischen Charakterisierung von chemischen und chemisch-biologischen Stoffwandlungsprozessen.
- Thermodynamische und kinetische Modellierung und Optimierung von Stoffwandlungsprozessen unter Nutzung von phänomenologischen und quantenmechanischen Methoden.
- Überführung der homogenen in die heterogene Katalyse durch Immobilisierung.
- Physikalisch-chemische Analyse auf experimenteller und theoretischer Basis der Synthesen von Metall-Organischen Gerüstverbindungen (MOF`s), von Silanen und komplexen Hydriden.
- Untersuchung der Strukturbildung amphiphiler Moleküle an Oberflächen mit Hilfe von Monte-Carlo-Kalkulationen.
- Untersuchungen der Partikelwechselwirkungen in Suspensionen und ihres Einflusses auf die Stoffeigenschaften.
Neben den umfangreichen modernen experimentellen Fonds bilden der Stamm von erfahrenen Mitarbeitern, die Kooperationsbeziehungen auf nationaler und internationaler Ebene zusätzlich die Gewähr, dass unter Leitung von Mertens das Institut für Physikalische Chemie in Lehre und Forschung weiterhin sehr erfolgreich sein wird.
Die Physikalische Chemie als eines der drei chemischen Kernfächer wird auch bei der bevorstehenden Reformierung der beiden Studiengänge (Bachelor- und Masterstudium) weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Im Institut für Physikalische Chemie sind alle Potenzen vorhanden, um die zukünftigen Herausforderung in jedem Falle zu meistern.