Freiberger Stahltag – 150 Jahre Institut für Eisen- und Stahltechnologie
Grüner Stahl, Klimaneutralität und Dekarbonisierung – eine Herausforderung für die Stahlindustrie bis 2050
Kann es gelingen, die Stahlindustrie klimaneutral zu machen und die zugehörigen Wertschöpfungsketten nachhaltig zu dekarbonisieren? Diese Frage ist von globaler Tragweite und erfordert tiefgreifende technologische und wirtschaftliche Veränderungen. Der Stahlsektor zählt zu den energieintensivsten Industrien überhaupt: In Deutschland benötigt die Stahlindustrie derzeit etwa 2,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr und rund 25 Terawattstunden Strom, was der gesamten Jahresstromproduktion von Dänemark entspricht. Die dramatisch gestiegenen Energiepreise verursachen jährliche Mehrkosten von im Milliardenbereich und bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie massiv. Eine kurzfristige Entlastung, wie etwa eine Deckelung von Strom- und Gaspreisen, wäre nur ein erster Schritt, um die akute Krise zu bewältigen, doch sie löst nicht die strukturellen Herausforderungen der Branche.
Eine klimaneutrale Stahlproduktion erfordert eine radikale technologische Transformation. Zwei zentrale Ansätze stehen dabei im Fokus: Zum einen die Vermeidung von CO₂-Emissionen durch den Einsatz von Wasserstoff, etwa im Hochofenprozess oder bei der Direktreduktion von Eisenerz. Wasserstoff kann hier als Ersatz für kohlenstoffhaltige Reduktionsmittel dienen und die CO₂-Emissionen erheblich senken. Zum anderen setzt die Branche auf die stofflich-chemische Nutzung von anfallendem CO₂, um es in neue Wertschöpfungskreisläufe einzuschließen und so die Emissionen weiter zu reduzieren.
Ein weiterer zentraler Baustein ist die Kreislaufwirtschaft. Hier gewinnt die schrottbasierte Elektrostahlproduktion zunehmend an Bedeutung, da sie Energie und Rohstoffe einspart. Zudem werden Nebenprodukte der Stahlherstellung, wie Schlacken, nachhaltig als Ersatzbaustoffe eingesetzt, während Flugstäube und Schlämme weitestgehend in den Produktionskreislauf zurückgeführt werden.
Damit diese Verfahren großtechnisch umgesetzt werden können, sind jedoch gewaltige Investitionen notwendig. Der Strombedarf der Stahlindustrie wird durch die Umstellung auf Wasserstoff weiter steigen. Dies erfordert nicht nur enorme Mengen an grünem Strom, sondern auch den Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur zur Wasserstoffverteilung. Ein derartiger Technologieumbruch ist von den Stahlunternehmen allein nicht zu bewältigen. Es braucht eine umfassende finanzielle Förderung, die sowohl Forschung und Entwicklung als auch die praktische Umsetzung im industriellen Maßstab unterstützt.
Die zentrale Frage bleibt: Wie kann die energieintensive deutsche Stahlindustrie mitsamt ihrer Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze gesichert werden, ohne den Industriestandort Deutschland dauerhaft zu schädigen? Die Antwort liegt in der Balance zwischen technologischem Fortschritt, politischer Unterstützung und langfristiger Planungssicherheit. Die Zukunft der Stahlindustrie entscheidet sich an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Verantwortung.