Sein Portrait hängt an den Wänden der TUBAF, ein Unigebäude ist nach ihm benannt: Abraham Gottlob Werner (1748 – 1817). Doch der Mineraloge und Geologe ist mehr als ein Relikt der Vergangenheit. Werner hat vor genau 250 Jahren ein bahnbrechendes Werk veröffentlicht, das bis in die heutige Zeit wirkt. 1774 erschien ein Buch zur Mineralbestimmung, im vollständigen Titel Von den Äußerlichen Kennzeichen der Fossilien. Aus diesem Anlass widmeten sich Studierende der Industriearchäologie der TUBAF ein ganzes Semester in einem Lektüreseminar allein diesem Buch. Was die Kennzeichenlehre so relevant für die Gegenwart macht, war von einem der Seminarleiter Professor Gerhard Heide zu erfahren.
Begriffe aus der Keksdose
Das Los ist „bitter“. Und das ist gar nicht negativ gemeint. Die Studierenden im Masterstudiengang Industriearchäologie haben ihren Referatsgegenstand am Anfang des Seminars als Los aus einer Keksdose gezogen. Heute ist der Begriff „bitter“ dran. Welche Bedeutung hatte dieses Adjektiv zu Werners Zeiten, was schreiben die Lexika seiner Zeit, was der Online-Duden von 2024? Professor Dr. Gerhard Heide, der mit Dr. Norman Pohl das Seminar leitet, erklärt: „Werner nutzte für die Beschreibung von Mineralen und Fossilien nur die tatsächlich wahrnehmbaren Sinne, das Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken. Das klingt wie eine Binsenweisheit. Aber man muss sich klar machen, dass zu Werners Zeiten die Wünschelrute durchaus als wissenschaftliches Instrument galt.“ Abraham Gottlob Werner war ein Kind der Aufklärung. Seine naturwissenschaftliche Forschung hatte insofern auch eine gesellschaftliche Dimension.
Noch als Student bahnbrechendes Werk veröffentlicht
Zu Werners Zeiten wurden einige Fossilien- und Mineralien-Bestimmungsbücher veröffentlicht. Werner ordnet sich im Vorwort seiner Kennzeichenlehre in diesen Kontext ein: „Er hatte die Fähigkeit, den zeitgenössischen Wissensstand zusammenzufassen“, sagt Professor Heide, „es gab damals viele Systeme, Minerale zu bestimmen und somit dann klassifizieren zu können, aber Werner hat dies systematisiert und aufgeschrieben.“ Er entwickelte mit seiner Kennzeichenlehre eine „praktikable Analytik“, so Professor Heide, „er merkte aber auch selbstkritisch an, dass die Chemie seiner Zeit noch nicht so weit ist, denn sie konnte nur in wenigen Laboratorien praktiziert werden. Sein Text hat also eine Zukunftsperspektive.“ Besonders an der Kennzeichenlehre ist auch, dass Werner sie noch als Student in Leipzig veröffentlicht. Nach seinem naturwissenschaftlichen Studium in Freiberg promovierte er dort in Jura.
Werners Ansatz bis heute in den Lehrbüchern
Bis heute wenden Forschende ganz ähnliche Eigenschaftenkataloge der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften von Mineralen an, beispielsweise das Standardlehrbuch von Gregor Markl Minerale und Gesteine: Mineralogie – Petrologie – Geochemie aus dem Jahr 2015. Im Mittelpunkt stehen wieder das Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken. „Die Lehrbücher von heute sagen das Gleiche wie seinerzeit Werner. Dabei geht es nicht allein um das Stadium des Erkennens, sondern des Analysierens und in einem weiteren Schritt um die Interpretation. Dies hat Werner scharf getrennt. Über die Analyse sollten alle Forschenden zum gleichen Ergebnis kommen. Doch wie dieses Ergebnis interpretiert wird, ist Teil des wissenschaftlichen Diskurses“, erklärt Gerhard Heide. Er ist also ziemlich modern, aber typisch für die Gedanken der Aufklärung. Die hierfür maßgeblichen Gedanken sind von Immanuel Kant (1724-1804) entwickelt worden, dessen 300. Geburtstag dieses Jahr begangen wurde. Man kann Werners Kennzeichenlehre auch jenseits eines Lektüreseminars wieder zur Hand nehmen und sich aufs Tablet laden. Werners Kennzeichenlehre von 1774 steht online. Übrigens, am 25. September 2024 ist Abraham Gottlob Werners 276. Geburtstag.