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Industriedenkmale haben eine spannende Vergangenheit. Doch haben sie auch eine Zukunft? Über Stand und Perspektiven der Industriekultur und Industriedenkmalpflege in Deutschland diskutierten die Teilnehmenden der hochkarätigen Fachkonferenz „Industriekultur Quo Vadis?" an der TUBAF in dieser Woche. Ausgerichtet wurde die Tagung vom Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte der TU Bergakademie Freiberg und der Landesverband Industriekultur Sachsen e.V, Schirmherrschaft hatte die Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus Barbara Klepsch. 

Freiberg ist reich an Industriedenkmalen, das Hotel Alekto am Bahnhof oder auch der historische Hüttenstandort Muldenhütten am Stadtrand. Durch die Initiative von Professor Helmuth Albrecht von der TUBAF gehört Muldenhütten seit 2019 zum UNESCO-Welterbe. Für sein Engagement um die Montanregion Erzgebirge/Krušnohorí ist Professor Albrecht nun mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Freiberg geehrt worden. Welche Bedeutung Industriedenkmale für die Gegenwart besitzen und welche Geschichte sie erzählen - darüber sprach Helmuth Albrecht bei einem Interview am Ort seines Wirkens, in Muldenhütten.

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Wir sind in Muldenhütten, es ist kein Ort, der schön ist. Trotzdem ist er UNESCO Weltkulturerbe. Warum ist dieser Ort denn erhaltenswert aus Ihrer Sicht?

Schön ist relativ. Aus industriearchäologischer und denkmalpflegerischer Perspektive ist es ein durchaus faszinierender Ort, der eher zu den unbekannten, unentdeckten Orten der Industriegeschichte Freibergs und des Erzgebirges gehört. Er spielte eine zentrale Rolle für die Erlangung des Welterbe-Titels für die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří, weil wir das einzige montane Welterbe sind, das noch über einen derartigen Hüttenkomplex verfügt. Er steht für die Technik- und Umweltgeschichte der Zeit von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und ist in dieser Form einmalig in Europa. Das ist auch der Grund, warum wir hier momentan ein Pilot-Projekt zur Erhaltung und Nachnutzung eines solchen ökologisch problematischen Standortes durchführen. Wir wollen nach rund 20 Jahren Leerstand und Verfall dem Standort neues Leben einhauchen und so für weltweit vergleichbare Standorte ein Vorbild schaffen. Sie werden fragen, warum der Aufwand? Muldenhütten ist zwar im Vergleich zu historischen Burgen, Schlössern oder Innenstädten nicht so ansehnlich, spiegelt aber auf einmalige Weise einen fast vergessenen Teil der Montangeschichte und des Arbeitsalltages im Hüttenwesen des Erzgebirges. Hier wurde aus dem Erz das Silber gewonnen und damit über Jahrhunderte der Reichtum Sachsens erwirtschaftet.

Wie kann so ein Ort nachgenutzt werden? Das ist ja immer die große Frage bei jedem Denkmal. Was kommt nach der ursprünglichen Nutzung?

Da sind wir gerade dabei, das zu entwickeln. Ich kann immer nur auf die Zeche Zollverein im Ruhrgebiet hinweisen, die schon abgerissen werden sollte, heute aber die industrielle und touristische Ikone des Ruhrgebietes ist. Ein so lange vernachlässigter Standort ist natürlich eine besondere Herausforderung für die Denkmalpflege und seine Nachnutzung. Baulicher Verfall und die trotz erster erfolgreicher Sanierungsmaßnahmen durch den Eigentümer – SAXONIA Standortentwicklungs- und –verwaltungsgesellschaft mbH in Freiberg – noch immer vorhandene Kontamination bilden eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Um den Welterbe-Standort dauerhaft zu erhalten und dem Besucher zugänglich zu machen, ist ein vernünftiges Nachnutzungskonzept nötig. Alle reden von der Silberstadt Freiberg und ihren Silberbergwerken, aber ohne diesen Hüttenstandort gäbe es diese gar nicht. Wir wollen in enger Kooperation mit dem Eigentümer den Standort der Öffentlichkeit zugänglich machen und verdeutlichen, welche historische und auch aktuelle Bedeutung das Hüttenwesen in der Region bis heute hat. Hier wurden in der Vergangenheit metallurgische Wertschöpfungsketten entwickelt, die erste Grundlagen für die heutige moderne Kreislaufwirtschaft zum Beispiel der Firma ECOBAT am nach wie vor aktiven Hüttenstandort Muldenhütten schufen. 

Was wäre denn jetzt ein ganz konkreter Schritt, um diesen Ort zu beleben?

Im Rahmen unseres auf drei Jahre angelegten und vom BMBF finanzierten Pilotprojektes wollen wir Schulprojekte, Lehrerfortbildungen, Ausstellungen und Tage der Offenen Tür veranstalten, die einer breiten Öffentlichkeit die Geschichte des Standortes, seine Bedeutung für unser Welterbe sowie die wichtige Rolle der metallurgischen Wertschöpfung für die Region und ihre Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf allgemein verständliche Weise vermitteln. 

Industrie geht nicht ohne Umweltschutz, Verhütten geht nicht ohne Umweltschutz. Was war hier besonders und warum man hier sozusagen auch Konzepte für Umweltschutz entwickelt?

Ja, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sieht, ist Muldenhütten seit Jahrhunderten ein Innovationsstandort gewesen. Hier hat man immer wieder versucht, die nutzbaren Metalle – wie vor allem Silber und Blei – aus den Erzen herauszuholen und sich gleichzeitig darum bemüht, die dabei anfallenden, vielfach umweltschädigenden Reststoffe – wie zum Beispiel Schwefel oder Arsen – der Umwelt zu entziehen und ebenfalls zu nutzbaren Produkten zu verarbeiten. So entstanden in Muldenhütten neben einer sächsischen Silbermünzstätte im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Schwefelsäure- oder auch eine Arsenfabrik. Umweltschutz und Wertschöpfung also Hand in Hand.

Die Überschrift Ihres Kongresses heißt Industriekultur Quo Vadis? Wo stehen wir denn heute? 

Die Entdeckung der Industriekultur in Sachsen nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen hat eigentlich erst 2009 begonnen. Damals fand in Dresden der erste Kongress zu diesem Thema statt und löste eine Entwicklung aus, die zur sächsischen Route der Industriekultur sowie 2020 zum Jahr der Industriekultur und der Sächsischen Landesausstellung „Boom“ führte. Wir wollen jetzt mit diesem zweiten großen Kongress, für den sich mehr als 200 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland angemeldet haben, dieser Entwicklung neue Impulse verleihen. Es geht um eine Bestandsaufnahme des Erreichten und die Diskussion der Perspektiven der Industriekultur in ganz Deutschland in Gegenwart und Zukunft. Sachsen ist seit 1800 und bis heute ein Industrieland. Tausende von wertvollen technischen und industriellen Denkmalen zeugen nach wie vor vom Erfolg dieser Entwicklung, sind aber auch immer wieder vom Leerstand und Abriss bedroht. Darauf gilt es nicht nur aufmerksam zu machen, sondern auch tragfähige Konzepte zum Erhalt und zur Nachnutzung zu entwickeln. Alle diese Fragen, die auch in anderen Bundesländern auf der Agenda stehen, sollen auf der Tagung, die gemeinsam vom Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte (IWTG) der TU Bergakademie Freiberg sowie dem 2021 gegründeten Sächsischen Landesverband für Industriekultur veranstaltet wird, diskutiert werden.

Ist Sachsen da auch ein ganz besonders guter Ort für so ein Thema?

Auf jeden Fall, also nach meiner Ansicht nach sogar noch besser als das Ruhrgebiet, weil wir hier vom Bergbau und Hüttenwesen, über die Textilindustrie, den Maschinen-, Werkzeug und Automobilbau bis hin zur optischen Industrie – um nur einige der zahllosen Industriebranchen Sachsens zu nennen – historisch und auch aktuell im Grunde genommen wie mitten in einem denkmalpflegerischen und industriekulturellen Labor sitzen. Die Hebung und Sicherung dieses Schatzes der Industriekultur bietet nicht nur für den Tourismus noch zahlreiche Potenziale.